So ein Schreiben hatte die Frauenärztin Annegret Richter* zuvor noch nie erhalten. Per Fax schickte ihr Klaus Günther Annen einen Fragebogen in ihre Praxis in Norddeutschland, in dem er sie nach den Tötungsmethoden in ihrer Praxis befragte. Um, wie es darin heißt, „unsere Internetveröffentlichungen auf einem möglichst aktuellen Stand zu halten“. „Und benötigen“, so schreibt er weiter, „deshalb von Ihnen einige Angaben.“
Seine Internetveröffentlichungen, das sind die Website abtreiber.com und babycaust.de, die seit Jahren gegen Ärztinnen und Ärzte hetzt, die Abtreibungen vornehmen. Sie sind nach Postleitzahlen samt Adressen gelistet. Darunter werden Parolen postuliert, die vom „Dritten Weltkrieg gegen ungeborene Kinder“ handeln, Bilder gezeigt, die – Vorsicht Trigger – zerstückelte Föten abbilden sollen und Tierschutz gegen „Menschenschutz“ stellen – ein Vergleich, dessen sich auch der frühere Bundesgesundheitsminister Jens Spahn einmal bediente. Seine Website-Kategorien lauten zum Beispiel „Abtreibungslobbyisten“, „Euthanasie“, „Gender“ und „Homosexualität“. Dahinter stehen pseudosachliche Hetzbeiträge, auch gegen das Impfen. Zentral steht der Satz „Wir alle sollten uns schämen, wenn wir die Verbrechen der Nazis anprangern, aber den millionenfachen Völkermord am eigenen Volke dulden oder sogar rechtfertigen.“ Holocaustrelativierung.
Natürlich wurde Annen für seine Veröffentlichungen mehrfach angezeigt. Und verurteilt. Zuletzt aufgrund einer Verleumdungsklage, die Kristina Hänel gegen ihn geführt hatte. Er macht weiter, nun mit einem wie ein behördlich gehaltenes Schreiben verfassten Fragebogen samt Aktenzeichen. „Führen Sie in Ihrer Praxis Kinderabtreibungen durch?“, „Welche Narkose wird angewandt?“, „Welches Honorar verlangen Sie?“, „Bitte faxen Sie uns das ausgefüllte Schreiben zurück. Vielen Dank.“ Das Aktenzeichen lautet „KZ219“. Wortkonstrukte und Anlehnungen, die an Abmahnungen und Unterlassungen gerade mal vorschrammen. Er kennt sich mit der Justiz aus: Jahrelang hat er Ärztinnen und Ärzte nach § 219a StGB angezeigt, weil sie auf ihren Websites über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Das Instrument wird ihm künftig fehlen: Im Juni 2022 wird der Bundestag nach zweiter Lesung den Naziparagraphen endlich und nach einem fünf Jahren andauernden Massenprotest der Bevölkerung auf den Müllhaufen der Geschichte werfen.
Man möchte das Schreiben zerreißen, vergessen, zur Tagesordnung übergehen, sagt Gynäkologin Richter. Aber das fände sie falsch. Deswegen hat sie uns als Pro Choice Deutschland e.V. die Erlaubnis gegeben, darüber zu informieren. Sie selbst möchte im Hintergrund bleiben. Denn sie ist Ärztin, keine Aktivistin. Sie übt Ihren Beruf aus, ist mit ihrer gesamten medizinischen Kompetenz für Frauen da.
Wir im Pro-Choice-Netzwerk wissen, das es wichtig ist, nicht zu schweigen. Dass Öffentlichkeit hilft. Gegen Angst, gegen Einschüchterungsversuche, gegen international vernetzte Reaktionäre, die die Natur und die Menschlichkeit nach ihren Maßstäben definieren wollen und die sich keinen Deut um das Leben von Kindern oder der Gesundheit von Frauen kümmern, sondern deren Attacken einzig und allein das Ziel haben, Frauen als Gebärmaschinen zu betrachten. Dafür sind ihnen unsägliche Vergleiche recht. Wir schweigen nicht, wir lassen uns nicht einschüchtern.
Kersten Artus, stellvertretende Vorsitzende Pro Choice Deutschland e.V.
* Name geändert