Berliner Zeitung vom 26. September 2020, Dorothea Nitzsche
Schwangerschaftsabbrüche sind heute keine große Sache mehr? Von wegen. Wir sprachen mit Ärztin Kristina Hänel, die wegen angeblicher Werbung verurteilt wurde, und Linke-Politikerin Cornelia Möhring, die selbst abgetrieben hat.
Ein 17-jähriges Mädchen aus Pennsylvania (USA) will abtreiben. Ihre Frauenärztin macht einen Ultraschall und sagt: „Das ist das wohl magischste Geräusch, das du je hören wirst.“ Als die 17-Jährige die Herztöne des Babys wahrnimmt, wendet sie sich ab. Von ihrer Familie kann sie keine Unterstützung als junge Mutter erwarten. Für den Schwangerschaftsabbruch reist sie mit ihrer Cousine alleine nach New York.
Der Film „Niemals selten manchmal immer“ wurde auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet und läuft am 1. Oktober in den deutschen Kinos an. Regisseurin Eliza Hittman thematisiert darin nicht die Entscheidung. Ein Schwangerschaftsabbruch ist kein leichtfertiger Entschluss. Aber es ist einer, den die Frauen selbstständig treffen können.
Gesetzliche Rahmenbedingen und gesellschaftliche Akteure sprechen Frauen genau das aber oft ab. Auch in Deutschland. Erst kürzlich spazierten durch Berlin etwa 3000 Teilnehmer mit Parolen wie „Zuwendung statt ‚Sterbehelfer‘“ oder „Verantwortung statt Abtreibung“ – beim „Marsch für das Leben“.
Am heutigen Montag ist „Safe Abortion Day“ – ein Aktionstag für den sicheren Schwangerschaftsabbruch. Zeit für ein Gespräch mit Ärztin Kristina Hänel, die sich seit vielen Jahren für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen einsetzt. Sie wurde 2017 zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt, weil sie auf ihrer Webseite Informationen zu Abbrüchen veröffentlichte. Das gilt laut Paragraf 219a des Strafgesetzbuches als verbotene Werbung. Gegen das Urteil hat Hänel Rechtsmittel eingelegt, um Verfassungsbeschwerde einreichen zu können. Ihr Ziel: Paragraf 219a muss weg. Der Prozess löste eine bundesweite Debatte über Schwangerschaftsabbrüche aus. Unterstützt wurde Hänel unter anderem von Cornelia Möhring, Frauenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag. Auch sie spricht sich unermüdlich für eine Abschaffung des umstrittenen Paragrafen aus.
Berliner Zeitung: Frau Möhring, Frau Hänel, wieso sollte Paragraf 219a aus ihrer Sicht gestrichen werden?
Cornelia Möhring: Nicht nur dieser Paragraf sollte gestrichen werden, sondern auch Paragraf 218, der einen Abbruch grundsätzlich verbietet. Momentan sind bei uns Schwangerschaftsabbrüche nur unter bestimmten Bedingungen straffrei. Das ist eine Erlaubnis und kein Recht. Wir brauchen aber das Recht, selbst über unseren Körper zu bestimmen. Solange diese beiden Paragrafen im Strafgesetzbuch stehen, wird das Verständnis vermittelt, Frauen seien Objekte des Staates und es sei ihre Aufgabe, Kinder zu bekommen. Ein Verbot ist nichts anderes als der Zwang, schwanger zu bleiben und zu gebären.
Kristina Hänel: Ich habe mich immer für die Informationsfreiheit der Frauen eingesetzt. In meiner Praxis erlebe ich täglich Frauen, die durch Desinformation später zum Schwangerschaftsabbruch kommen und dadurch negative gesundheitliche Auswirkungen haben. Und die dazu immer wieder Demütigungen erleben, wenn sie eine Schwangerschaft abbrechen wollen – aufgrund der Gesetze. Das ist eine Art psychischer Misshandlung.
olch ein Umgang wird auch im Film gezeigt, als dem Mädchen die Herztöne des Kindes vorgespielt werden.
Hänel: Und dann bekommt sie die falsche Schwangerschaftswoche gezeigt. Der Film zeigt genau das, was ich oft erlebe: Eine Frau ist in großer Not, völlig verzweifelt und hilflos. Und dann wird sie falsch informiert.
Wieso wird Frauen das Recht auf Selbstbestimmung über ihren Körper abgesprochen?
Möhring: Wir haben hier ein offensichtlich vorherrschendes Verständnis von Frauen, wonach sie die Aufgabe haben, Kinder zu gebären und ihre eigenen Wünsche, ihr Begehren und ihre Sexualität diesem Sachverhalt vollkommen unterzuordnen. Das ist die Meinung bestimmter klerikaler und konservativer Kreise, die sich noch immer in unserer Rechtsprechung wiederfindet.
Hänel: Frauen werden in dem Moment nicht wie normale Patienten behandelt. Ihre eigene Gesundheit spielt keine Rolle. Sie erwähnten ja den „Marsch für das Leben“. In diesen Kreisen wird der Embryo personalisiert und bereits als Person gesehen. Abtreibungsgegner wollen diese fiktive Person retten. Ein Embryo ist gegen die Frau aber nicht zu retten. Er ist immer nur mit der Frau zu retten.
Möhring: Mich bringt dieses Bild von Frauen auf die Palme. Dass sie nicht in der Lage seien, selbstständig zu handeln, zu entscheiden, und diese Unterstellung, dass sie allein durch die Information über Abbrüche schon eine Schwangerschaft abbrechen wollen. Als wäre eine Frau eine bloße Hülle ohne Verstand.
Welche Gründe haben denn Frauen, eine Schwangerschaft abzubrechen?
Hänel: So vielfältig wie Menschen sind, so vielfältig sind die Gründe. Die Mehrheit der Frauen hat schon Kinder und will kein weiteres. Die Wohnraum-, Arbeitsplatz-, Partnerschaftssituation ist oft prägend für so eine Entscheidung. Ganz häufig sind es aber auch persönliche Schicksale. Erfahrungen in einer vorherigen Schwangerschaft, mit einer Totgeburt zum Beispiel, nach der eine Frau sagt: Ich schaffe das psychisch nicht mehr.
Möhring: In der öffentlichen Debatte wird es so dargestellt, als handele es sich immer um junge, unerfahrene Frauen, die nicht richtig verhütet haben und nicht in der Lage sind, schon über ihr Leben selbst zu entscheiden. Das stimmt eben nicht. Ich selbst hatte einen Abbruch mit 17 und hatte auch einen mit 40 Jahren – aus völlig unterschiedlichen Gründen.
Sie haben von ihren Abbrüchen kürzlich in der „taz“ berichtet und beschrieben, dass Sie sich in keinem Fall gut beraten fühlten. Warum?
Möhring: Ich wurde von Ärztinnen beraten, die es nicht richtig fanden, dass ich die Entscheidung für den Abbruch schon gefällt hatte. Ich wurde genötigt, noch kurz vor Eingriff eine Ultraschalluntersuchung anzugucken. Das war völlig unnötig.
Hänel: Das ist auch einer dieser typischen Quälmechanismen.
Was ist denn wichtig, über einen Schwangerschaftsabbruch zu wissen?
Hänel: Es muss über Methoden und Risiken aufgeklärt werden. Den Frauen muss eine Wahlmöglichkeit eingeräumt werden, zu welcher Ärztin sie gehen wollen. Vor einer Knie oder Zahn-OP geht das ja auch.
Es gibt Fälle, da wurden Dozenten angezeigt, weil sie das Thema Schwangerschaftsabbruch behandelt haben. Wie gut sind Ärztinnen und Ärzte überhaupt dafür ausgebildet?
Hänel: Das ist eine der Folgen von Paragraf 219a, dass Dozierende nur noch über ethische Aspekte sprechen und nicht über medizinische Vorgänge. Es ist absurd.
Möhring: Eine wesentliche Forderung ist, dass Schwangerschaftsabbrüche in das Curriculum aufgenommen und Teil der medizinischen Ausbildung werden. Es kann nicht sein, dass sich Studierende selbst beibringen müssen, wie Abbrüche gemacht werden.
Wie würden Sie sich wünschen, dass Frauen behandelt werden, wenn sie den Entschluss für einen Abbruch fällen?
Möhring: Ich wünsche mir, dass Frauen selbstbestimmt über ihren Körper und ihr Leben entscheiden können, ihnen nicht länger vorgeschrieben wird, ob sie eine Schwangerschaft austragen oder beenden wollen und dass sie sich die Ärztin ihres Vertrauens aussuchen können und dafür nicht Hunderte Kilometer fahren müssen.
Hänel: Ich wünsche mir, dass Frauen eine hochqualifizierte medizinische Versorgung erhalten, dass sie aufgefangen und professionell beraten werden. Dass sie als Menschen in ihrer Ganzheit angenommen werden. Ich möchte, dass die Artikel des Grundgesetzes auf Frauen angewandt werden: Artikel 1, die Würde des Menschen, und Artikel 2, das Recht auf körperliche Unversehrtheit.
Möhring: Und deswegen dürfte es eigentlich gar nicht so ein weiter Weg sein. Es ist eine politische Entscheidung, die Gesetze von einem Verbot hin zu einem Selbstbestimmungsrecht für Frauen zu ändern.