Kristina Hänel antwortet auf Brief von CDU-Abgeordneten

Gießen, 3. Januar 2018

In einem Offenen Brief wendet sich Kristina Hänel an die CDU-Bundestagsabgeordneten Elisabeth Winkelmesser-Becker und Marcus Weinberg. Diese hatten in einem Schreiben an alle Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU gewandt und sich gegen die Streichung des § 219a StGB ausgesprochen. Wir dokumentieren die Brief von Kristina hier:

Sehr geehrte Frau Winkelmeier-Becker, sehr geehrter Herr Weinberg,

bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 19.12.2017 an die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion möchte ich einige Punkte anmerken.

  • Preise

Sie schreiben in Bezug auf meine Person: „laut Medienberichten soll sie auch Preisbeispiele unterbreitet haben.“ Diese Behauptung hätte sich mit einem Blick auf meine Homepage auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen lassen. Ich bitte Sie darum, informieren Sie sich selbst, bevor Sie öffentlich Stellung nehmen. Im Übrigen bleibt zu fragen, auf welche Medien Sie sich in Ihrer Aussage beziehen. Eine seriöse Berichterstattung lässt meines Erachtens keine derartige Fehlaussage zu.

  • Lebensschutz

Da ich selbst als Ärztin im Rettungsdienst seit mehr als 10 Jahren für die Katholische Kirche (Malteser Hilfsdienst ) explizit im Einsatz für den Lebensschutz tätig bin, erlaube ich mir aus meiner Erfahrung und Kompetenz heraus eine Stellungnahme zum Thema Lebensschutz abzugeben. Im Lancet von September 2017 wurden in Zusammenarbeit mit der WHO die aktuell geschätzten Zahlen zum Schwangerschaftsabbruch veröffentlicht. Von ca. 56 Millionen durchgeführten Abbrüchen waren weltweit ca. 20 Millionen unsafe. D.h. sie wurden in Ländern durchgeführt, die durch Restriktionen den Zugang zu medizinisch korrekter Versorgung einschränkten. Das betrifft hauptsächlich Afrika und Südamerika. In diesen Ländern ist die Zahl der Abbrüche nicht geringer als beispielsweise in Europa (im Gegenteil eher höher), aber die gesundheitlichen Folgen wie Müttersterblichkeit, Unfruchtbarkeit, Invalidität, Suizid sind enorm und haben die WHO bereits im Jahr 2005 veranlasst, die Mifegyne als essential drug in die Liste der wichtigsten Medikamente weltweit aufzunehmen. Niemand, dem ernsthaft die Gesundheit der Frauen am Herzen liegt, kann also verstärkte Restriktionen wollen. Mit Restriktionen wird weltweit und auch in Deutschland kein einziger Schwangerschaftsabbruch verhindert, aber es wird die Gesundheit der Frauen in Gefahr gebracht.

Die Gruppe der „Abtreibungsgegner“, die sich auch gerne „Lebensschützer“ nennen, möchte aber eine generelle Einschränkung der Schwangerschaftsabbrüche erreichen. Wenn Sie sich die Gesetzgebung von 1943 anschauen, dann haben Sie dort die Todesstrafe auf Schwangerschaftsabbrüche gehabt. Wenn Sie so wollen, war also Adolf Hitler bereits ein „Lebensschützer.“ Es hat die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche aber nicht gesenkt. Eine Besonderheit stellt der Erlass Himmlers vom 14. März 1945 dar, nach dem Unterbrechungen nach Vergewaltigung durch Sowjetsoldaten zulässig waren, Unterbrechungen nach Vergewaltigung durch Soldaten der Westalliierten aber weiterhin der allgemeinen Bestrafung unterlagen. Das Thema ist sehr unangenehm, ich kann es Ihnen aber nicht leichter machen als es ist. Was ich damit sagen möchte, Restriktionen bewirken nichts in dem Sinn von Lebensschutz, den ich Ihnen, da ich grundsätzlich positiv über andere Menschen denke, als Intention unterstelle. Ich bin mir sicher, Sie möchten genau wie ich, das beste für die Menschen, die Ihnen als Politiker anvertraut sind, erreichen.

Wenn wir also davon ausgehen, dass Leben geschützt werden soll, dann müssen wir uns den Punkten zuwenden, mit denen wir Leben schützen können. Der Rettungsdienst ist das eine. Die Versorgung, Aufklärung, der Zugang zu Verhütungsmitteln, die familienfreundliche Gesellschaft ist das andere. Was bewegt Frauen dazu, eine Schwangerschaft nicht auszutragen?

Sicherlich nicht, wenn ein Arzt oder eine Ärztin Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch macht. Das wissen Sie hoffentlich genau so gut wie ich. Gründe für Frauen sind vielfältig: der Partner hat sie verlassen oder ist unzuverlässig, der Arbeitsplatz ist bedroht oder die soziale Situation gefährdet, es sind bereits behinderte oder schwer kranke Kinder in der Familie, so dass eine weitere Belastung nicht mehr geleistet werden kann. Dies sind nur einige Situationen, in denen Frauen zu mir in meine Praxis kommen. Diesen Frauen steht adäquate medizinische Versorgung zu. Es gibt keinen Grund, sie zu diskriminieren, ihnen medizinische Informationen vorzuenthalten, sie willentlich auf die Seiten der „Abtreibungsgegner“ wie „babycaust“ zu schicken.

Da das Bundesverfassungsgericht das Lebensrecht des Ungeborenen als höherwertiges Rechtsgut eingeschätzt hat als das Selbstbestimmungsrecht der Frau, wurden die Paragrafen 218 und 219 geschaffen. Sie dienen somit dem Schutz des ungeborenen Lebens.

Der Paragraf 219a dient diesem Schutz nicht, er kann diesen Schutz auch nicht erfüllen. Er wurde nachdem er im Kaiserreich bereits bestanden hatte, wieder eingeführt, nach dem die jüdischen Ärzte, die bereits ihre Approbation entzogen bekommen hatten, teilweise Schwangerschaftsabbrüche durchführten. Gegen diese Bevölkerungsgruppe richtete sich 1933 der Paragraf 219a. Er hat also einen eindeutig antisemitischen Hintergrund. Ich bitte Sie, in diesem Zusammenhang auch zur Kenntnis zu nehmen, dass ich inzwischen zunehmend Drohmails aus dem eindeutig rechtsradikalen Zusammenhang erhalte. Dort wird inzwischen gar nicht mehr über das Thema Schwangerschaftsabbruch gesprochen, sondern ich werde als „Semitin“ beschimpft und bedroht.

  • Werbung

Ich habe nicht geworben. Eine Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch läge mir sachlich und moralisch absolut fern. Ich „habe sachlich und seriös informiert“. Dieses Zitat stammt im Übrigen aus dem Urteil des Gießener Amtsgerichts. Wie gesagt, meine Homepage ist für alle zugänglich. Sie können sich selbst über den Inhalt informieren.

Sie werden als Politikerinnen und Politiker Ihre Stellungnahme abgeben. Mir ist aber an der Einhaltung der Wahrheit gelegen. Auch war und bin ich zu jeder Zeit für einen Dialog offen. Aber bitte überlegen Sie sich, mit wessen Sache Sie sich gemein machen, wenn Sie unüberprüft Argumente radikaler Gruppierungen übernehmen.

Mit freundlichen Grüßen
Kristina Hänel
Ärztin für Allgemeinmedizin, Notfallmedizin

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